Sind wir seelisch aus dem Gleichgewicht geraten, lassen wir meist auch den Kopf hängen. Wir senken die Schultern, beugen sie nach vorn und verkürzen unsere Schritte. Verspannungen, Stress, Unfälle und Operationen können bestimmte Haltungsfehler bewirken. Oder Muskelverhärtungen durch Fitnessstudiobesuche. Falsche Bewegungsmuster beeinflussen die Gelenke und Knochen. Unsere Gestalt verändert sich, verformt sich.
Fehlerhafte Körperhaltungen lassen sich ändern!
Hier setzt das Rolfing ein: Es macht sich die Formbarkeit des muskulären Bindegewebes, auch Faszien genannt, zunutze. Denn das verbindet sämtliche Strukturen miteinander. Direkt unter der Hautoberfläche umspannt es jeden Muskel, umhüllt die Organe und Nerven und bildet Sehnen und Bänder. Das muskuläre Bindegewebe durchwirkt unseren gesamten Körper wie ein Netz und verleiht ihm seine ganz eigene Form.
Bei Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit und Fehlhaltungen löst die Rolfing-Methode nachhaltig alte Spannungsmuster in den oftmals verkürzten und verklebten Bindegewebsstrukturen auf. Der „Rolfer“ bemüht sich, den Körper des Patienten wieder ins Lot zu bringen, indem er zuerst die Schwerkraft berücksichtigt, gegen die jeder Mensch ständig angehen muß, um nicht zu kippen und zu fallen. Bei einem aufrechtstehenden Menschen sollte man eine gerade Linie von den Ohren über den Oberarmknochen und die Hüften bis zum Knie und zum Fußknöchel ziehen können.
Bewegen sich die Schwerpunkte der einzelnen Körperabschnitte (Kopf, Schulter, Rumpf, Bauch, Becken, Beine und Füße) in dieser senkrechten Achse, herrscht ein Idealzustand. In dieser optimalen oder anders ausgedrückt „normalen“ Struktur wird der Körper vom Boden her durch den gesamten Körper hindurch unterstützt. Doch nur bei wenigen Menschen befindet sich alles im Lot. Häufig sind diese Körperabschnitte gegeneinander verschoben, d.h. aus dem Gleichgewicht geraten.
Der Rolfer überprüft zunächst den Körper, im Stehen und in der Bewegung, wie und wo er von der Ideallinie abweicht. Wo sinkt er zusammen und wird von der Schwerkraft gestaucht? Ziel ist ja die aufrechte und mühelose Haltung und Bewegung. Häufig macht der Therapeut auch ein Foto, um später die Veränderung aufzeigen zu können.
Nachdem der Patient auf dem Massagetisch liegt, beginnt der Körpertherapeut, mit seinen Fingern, Handflächen, Knöcheln und manchmal sogar mit seinen Ellenbogen die Muskulatur und Bindegewebe der einzelnen Körperabschnitte zu bearbeiten. Dabei sucht er nicht die verspannten Muskeln, sondern die Muskelhüllen („Faszien“) zu erreichen, immer „dem Schmerz entlang“.
All das bedarf großen Fingerspitzengefühls und viel Erfahrung. Bei manchen Patienten kann es zu einem befreienden Weinen kommen, zu einem Erinnern an längst vergessen geglaubte Ereignisse, die zur Fehlhaltung beitrugen. Doch die Resultate von Rolfing sprechen für sich: freieres Atmen, Befreiung von Kopf- und Rückenschmerzen, neue Energie und Vitalität, besseres Aussehen, wieder elastisch-sinnvolles Zusammenspiel der Muskelgruppen, Anmut in den Bewegungen sowie das Gefühl, aufgerichtet zu sein und sicher auf dem Boden zu stehen.
Die Behandlung besteht in der Regel aus einer Serie von zehn aufeinander abgestimmten Sitzungen, in die auch das Bewusstmachen von Bewegungsmustern einbezogen wird. Empfohlen wird, diese Rolfing-Sitzungen in einem Abstand von ein bis zwei Wochen zu nehmen. Dabei sind aktive Mitarbeit, Veränderungsbereitschaft und der Wille, sich einzulassen, angebracht. Den Basissitzungen können nach mehreren Monaten fortgeschrittene Sitzungen folgen. Die Veränderungen, die sich während des Rolfing einstellen, integrieren sich über Monate weiter im Kröper. Behandlungen mit Kindern sind meist kürzer als bei Erwachsenen.
Nicht geeignet ist Rolfing bei degenerativen Muskelerkrankungen wie MS und Osteoporose, ebensowenig bei Entzündungen von Muskeln und Gelenken.
Nach der Begründerin der Methode, Dr. Ida Rolf, die 1973 in Boulder/Colorado (USA) ein eigenes Institut zur Ausbildung gründete, gibt es für jeden Menschen eine individuelle und optimal Haltung, die durch das Rolfing gefunden werden kann. Und mit zunehmenden Alter auch sollte, denn die aus dem Gleichgewicht geratene Körperhaltung hat die Tendenz, sich langfristig zu verschlechtern. Aufrechte Haltung und Bewegung wird mühsam. Die Folgen machen sich durch Schmerzen im Rücken und in den Gelenken bemerkbar.
Nach Rolfs Vorstellung fixieren verklebte Faszien, also Bindegewebsstrukturen, die Muskeln und Organe umhüllen, den Körper in seiner Fehlhaltung. Deshalb auch ihr Verfahren, mit gezieltem manuellen Druck das Bindegewebe umzuformen, Verhärtungen und Verklebungen zu lösen. Sie selbst nannte dieses Verfahren „Strukturelle Integration“. Als Ida Rolf gebeten wurde, ihr Verfahren am Esalen-Insitut in Kalifornien zu unterrichten, begann sich die Methode auszubreiten und die Bezeichnung Rolfing bürgerte sich ein.
Neuere Forschungsergebnisse der Universität Ulm unterstützen die von Ida Rolf postulierten Vorstellungen und widerlegen die bisherige Lehrmeinung, das Faszien starre Bindegewebshüllen seien, die der rein passiven Kraftübertragung dienen. Die Forscher stellten fest, dass sich die Faszienschichten durchaus aktiv zusammenzuziehen vermögen und somit einen bedeutenden Einfluss auf die Mechanik der Skelettmuskeln haben.
Mit seinem ganzheitlichen Ansatz kann Rolfing eine gute Ergänzung zu anderen Methoden der Gesundheitsvorsorge sein. Klienten mit einem besonders großen Körperbewusstsein wie etwa Sportler oder Tänzer sind oft begeistert von den feinsten Veränderungen, die ihnen dabei helfen, ihre Leistungen zu verbessern. Grundsätzlich kann Rolfing dabei helfen, belastende Bewegungsmuster abzulegen und durch ökonomische und schonende zu ersetzen. Von diesen positiven Veränderungen profitieren die behandelten Menschen oft ein Leben lang. Müheloses aufrechtes Stehen, Gehen und sitzen ist möglich. Verspannungen und Schmerzen verschwinden. Die Aufrichtung des Körpers steigert die Ausdruckskraft und Authentizität. Ein bewussteres Körpergefühl stellt sich ein, begleitet von Anmut und Leichtigkeit in der Bewegung.
Fotos: European Rolfing Association e.V.
Adressen von Verbänden:
(keine Werbelinks, sondern weiterführende externe Informationen für gesundheitsinteressierte Internetbesucher)European Rolfing Association e.V., Saarstr. 5, 80797 München, www.rolfing.org
Rolfing-Verein Österreich, Neuwaldegger Str. 27/2/4, A-1170 Wien, www.rolfing.at
Schweizerische Gesellschaft für Strukturelle Integration (SGSI), www.sgsi.ch