Alle anthroposophischen Ärzte haben nicht nur ein medizinisches Studium absolviert und sind dementsprechend approbiert, sondern haben sich zusätzlich noch auf dem Gebiet der Anthroposophischen Medizin weitergebildet.
Den Ansatz der Anthroposophischen Medizin entwickelte Rudolf Steiner (1861-1925), der Begründer der Anthroposophie, gemeinsam mit der Ärztin Ita Wegman (1876-1943) Anfang des 20. Jahrhunderts.
In Deutschland ist die Anthroposophische Medizin gesetzlich anerkannt und verankert: Seit 1976 ist sie im Arzneimittelgesetz als "besondere Therapierichtung" und seit 1989 als medizinische Richtung im Sozialgesetzbuch V kodifiziert. Weltweit wird sie in über 80 Ländern praktiziert.
Über die Grenzen der Schulmedizin hinaus gelangen
Zwischen 2.000 und 3.000 anthroposophisch praktizierende Ärzte aller Fachrichtungen gibt es in Deutschland und immer häufiger absolvieren erfahrene, längst niedergelassene Ärzte die aufwendige Zusatzqualifikation, weil sie sich in ihrem Praxisalltag an den Grenzen der reinen Schulmedizin sehen. Diese Grenzen erlebt offenbar auch ein Großteil der Patienten, denn nach eigenen Angaben haben sich bereits 70 Prozent der Deutschen einmal komplementärmedizinisch behandeln lassen.
Immer mehr gesetzliche Krankenkassen nehmen deshalb die Anthroposophische Medizin mit ihren besonderen Behandlungsformen, wie den künstlerischen Therapien, in ihren freiwilligen Leistungskatalog auf. Man kann sich bei der jeweiligen Krankenkasse danach erkundigen, ob sie die Kosten dafür übernimmt. Die Behandlung durch einen anthroposophischen Arzt gehört selbstverständlich zu den Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkassen, sofern er – was üblich ist – eine kassenärztliche Zulassung hat und nicht als Privatarzt praktiziert.
Es ist eine Erfahrungs- und Begegnungsmedizin
Anthroposophische Medizin ist eine Individalmedizin. Jede Behandlung beginnt mit einer gründlichen Anamnese und wird von einer schulmedizinischen Diagnose begleitet. Der Einsatz moderner medizinischer Geräte- und Labortechnologie sowie der neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse wird von anthroposophischen Medizinern keinesfalls abgelehnt, sondern im Gegenteil sachkundig mit einbezogen. Dementsprechend handelt es sich auch um Akutmedizin, zu der selbstverständlich Operationen oder Laborkontrollen gehören.
Darüber hinaus betrachtet der anthroposophische Mediziner aber den gesamten Menschen, seine Physiognomie, seine Biografie und seinen Lebensstil und setzt diese Elemente in Bezug zu dem körperlichen Befund. Deshalb sind das ausführliche Gespräch und die sich daraus ergebende vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung zentral für die Diagnose und anschließende Therapie sowie für den Heilungsprozess. Im Sinne einer solchen "Begegnungsmedizin" wird gemeinsam versucht, die gesamte Problematik zu erfassen und Heilungswege zu erkennen.
Nicht nur Medikamente führen zur Gesundung
Anthroposophische Ärzte können aus einem großen Spektrum an anthroposophischen Arzneimitteln und weiteren Therapieformen (zum Beispiel Musiktherapie oder Heileurythmie) auswählen, die neben den Medikamenten einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Für Patienten stehen außerdem Arzneimittel zur Selbstmedikation gängiger Erkrankungen zur Verfügung.
Mehr als 2.000 Arzneimittel zählt die Anthroposophische Medizin insgesamt. Sie werden zum Teil nach homöopathischen Verfahren aus mineralischen, pflanzlichen und tierischen Substanzen hergestellt. Die pflanzlichen Bestandteile stammen, soweit verfügbar, aus biologisch-dynamischem Anbau. Diese Arzneimittel werden in Form von Salben, Gelen, Essenzen oder Ölen entweder für äußerliche Anwendungen wie Wickel, Bäder, Einreibungen und rhythmische Massagen eingesetzt, innerlich als Tabletten, Globuli velati, Tropfen, Pulver oder Zäpfchen oder als Injektionen verabreicht.
Das Spektrum der anthroposophischen Therapien umfasst neben den Arzneimitteln auch Kunsttherapie (plastisch-therapeutisches Gestalten, therapeutisches Zeichnen und Malen), Musiktherapie, Sprachgestaltung, Rhythmische Massage, Heileurythmie, Gesprächstherapie und Biografiearbeit.
Der Patient erhält bei dieser Medizin eine aktive Rolle für seine eigene Gesundheit
Die Anthroposophische Medizin konzentriert sich nicht nur auf die Frage der Krankheit und ihrer Heilung, indem sie die Selbstheilungskräfte des Patienten unterstützt, sondern schreibt diesem auch eine aktive Rolle für seine eigene Gesundheit zu – nicht nur bei der Überwindung der Krankheit, sondern auch beim Erhalt der Gesundheit. Dieser Aspekt verbirgt sich hinter dem Begriff der Salutogenese.
Da es sich bei der Anthroposophischen Medizin um eine am einzelnen Patienten ausgerichtete Individualmedizin handelt, wird eine Evaluation erschwert. Klassische Schulmediziner lehnen die Anthroposophische Meidzin häufig mit dem Hinweis auf fehlende randomisierte Doppelblindstudien ab. Bei den Doppelblindstudien werden zum einen die Patienten zufällig ausgewählt und wissen nicht, ob sie der Arzneimittel- oder der Placebogruppe angehören, und zum anderen wissen auch die behandelnden Ärzte nicht, welcher Patient nun welcher Gruppe angehört. Dieses Vorgehen lässt keinen Raum für Individualanwendungen und eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung, die jedoch beide wesentliche Bestandteile der Anthroposophischen Medizin sind. Dennoch gibt es eine Reihe von Studien und Anwendungsbeobachtungen, die die Wirksamkeit von zahlreichen anthroposophischen Arzneimitteln und den speziellen Therapien belegen.